Maria Gideon
Maria Gideon, Foto: Jan Casagrande
Die Künstlerin Maria Gideon gehört der raren Spezies der Terraformer an. Aus Ungenauigkeit und Abfall, aus Bruchstücken und Vergessenem entwirft sie eine neue Welt, einen raumgreifenden Hort der Irrealität. In ihren Arbeiten finden Zwischentöne, das halbseidene Licht und der Zufall ihr wahres Zuhause. Nichts ist bei Gideon an seinem Platz, kein Stein steht mehr auf dem anderen und die Konstruktion unserer Lebenswelt steht auf dem permanenten Prüfstand. Der alte Satz des Heraklit, dass alle Dinge im Fluss wären, bekommt bei Maria Gideon seine visuelle Entsprechung. Ihre schwindelerregenden Realitätsverschiebungen verlangen dem Betrachter eine neue Art zu sehen ab. Er kommt nicht umhin, sein Verständnis von Innen- und Außenwelt umfassend zu überdenken und nicht umhin, sein Verständnis von Verpackung und Eigentlichkeit neu zu bewerten. Maria Gideons pulsierende Astralkörper, ihre italienische Tischdeckenkartographie und ihre potemkinsche Architektur machen sie zu einer stimmgewaltigen Formgeberin der menschlichen Verfassung. Gideons ‚Palast für den Augenblick‘ könnte ebenso gut die Überschrift und Ausformulierung einer ganzen Generation junger Künstler sein.
São Paulo (2018)
2013 besuchte Maria Gideon Brasilien. Ohne dabei an Leichtigkeit einzubüßen flirtet ihre Arbeit ‚São Paulo‘ mit der bedeutungsschwangeren Welt des Symbolismus und schöpft aus den tiefen Erzählungen und banalen Begebenheiten des brasilianischen Alltags, wo Ende und Anfang des Individuums und der Gemeinschaft stets so unendlich dicht miteinander verwoben sind, dass ein Begriff wie Ordnung schlicht überflüssig wird. Frohen Mutes kommt die Arbeit ‚São Paulo‘ daher wie Stefan Zweigs wohltemperierte Schachnovelle, die im südamerikanischen Exil dem Fieberwahn anheim fällt.
Empfehlungen zum Weltuntergang (2020)
„In Zeiten des nahenden Weltuntergangs wird Gelassenheit immer wichtiger.“ Was würde besser in unsere von allgemeiner Corona-Unsicherheit erfasste Zeit passen als diese Empfehlung der Künstlerin Maria Gideon? Die Forderung nach Gelassenheit bedeutet ja nicht, dass man sich gleich in der nächsten Großveranstaltung tümmeln sollte. Verantwortlich verhalten, eben aber auch nicht verrückt machen. Maria blickt diesbezüglich auf eine ganz eigene Geschichte zurück; – war ihre Kindheit in einem politischen Elternhaus in den frühen 80er Jahren doch geprägt vom unguten Gefühl, dass sich die Welt wie wir sie kennen ohne Vorwarnung und jederzeit in einen dampfenden Haufen nuklear verstrahlter Asche auflösen könne, – gefolgt von Strahlenkrankheit, Haarausfall und elendem Dahinsiechen allen Restlebens. Mit der radikalen Darstellung des Nuklearkrieges hatte sich „The Day After“ als deprimierende Mahnung tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Heute wissen wir, dass die Menschheit diesem Endzeitszenario nur knapp entkommen ist. Ein Fehlalarm in einem sowjetischen Frühwarnsystem und eine unbesonnen angegangene NATO-Kommandostabsübung führten die Welt tatsächlich knapp an diesen Abgrund. Und auch heute gibt es Angesichts der Superschurkisierung der Machthaber und Pandemien wie dem SARS-CoV-2-Virus keinen Grund aufzuatmen oder zu verharmlosen. Die Lage ist ernst. Gerade deshalb nehmen Sie bitte Marias Rat an: „In Zeiten des nahenden Weltuntergangs wird Gelassenheit immer wichtiger.“ Ihren Kindern zuliebe. Denn mit Angst ist niemandem geholfen.
„Ich habe beschlossen, dass ich diese Angst und diese Panik vor einem möglichen Weltuntergang nicht in mir tragen will. Es geht nicht um Gleichgültigkeit bezüglich des Weltgeschehens, im Gegenteil. Ich habe für mich selbst festgestellt, dass ich besser und effektiver arbeiten kann, wenn ich nicht bei jeder neuen Schreckensnachricht panisch den Kopf verliere und ihn erst wieder suchen muss.“
Maria Gideon, 2020