Jakobus Durstewitz

Hammerkopf, Neues Kraftwerk, Frisia XV, Löschen II, Schulte & Bruns – bereits ein Blick auf die Titel der zwölf im Gezeitenkalender abgedruckten Ölbilder von Jakobus Durstewitz reicht, um zu verstehen: Das hier ist weniger Seeromantik denn Hafenindustrie und steht der künstlerischen Industriefotografie von Hilla und Bernd Becher (hier freilich innerhalb des malerischen Genres) deutlich näher als den seinerzeit von einigen misslaunigen Menschen als „Mehlschaumsuppenwerke“ verunglimpften Seelandschaften eines Caspar David Friedrich. Der Fluss und die See als angeeigneter und modifizierter Nutzraum. Nicht die gewaltige, unangepasste Natur steht hier im Vordergrund, sondern das Wasser als Arbeitsplatz, als Transportweg, Umschlagplatz und Hauptakteur von Industrialisierung und Globalisierung.

Jakobus Durstewitz – bildender Künstler und Multiinstrumentalist – ist seit vielen Jahren insbesondere für seine Hamburger Hafenbilder bekannt, welche u.a. die Plakate, Banner und Eintrittskarten des großen Hamburger Festivals für Musik und Kunst MS Dockville zieren. Geboren aber wurde Durstewitz 1969 in Emden, genauer gesagt, im berühmt-berüchtigten Emder Arbeiterstadtteil mit dem so seltsam exotisch klingenden Namen Port Arthur/Transvaal, in dem auch wesentliche Teile des Emder Hafens liegen. Das sieht man dem Kalender an. Der Großteil der hier versammelten Motive zeigt Ausschnitte ebendieser Hafenlandschaft: das Traditionsunternehmen Schulte & Bruns, ein Schiff der Reederei Norden-Frisia, Duckdalben, Brückenkräne, Gasometer.

Der Vater des Künstlers arbeitete früher als Ingenieur auf der nahegelegenen Thyssen-Werft und nahm den Sohn häufiger mit dorthin. Er ist es außerdem, dessen Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit ihren für die Zeit ungewöhnlichen Bildausschnitten Durstewitz als Vorlage für viele seiner Arbeiten dienen. So zeugen die Bilder einmal von einer Kindheit in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die von den unterschiedlichsten hafenindustriellen Aspekten, von Schiffbau, Stückgutfrachtern und Eisenerzladungen, von Klinkerbauten und dem obligatorischen Sonntagsausflug an die Mole geprägt ist. Auf der anderen Seite zeigt sich in ihnen (so sei vorsichtig gemutmaßt) vielleicht auch so etwas wie die Suche des Sohnes nach der Perspektive – dem speziellen Blickwinkel – und der Motivation des früh verstorbenen Vaters. Im Malprozess übernimmt Durstewitz den fotografischen Blick des Vaters als Ausgangspunkt, tastet ihn nach Ecken und Kanten ab, gleicht ihn mit dem eigenen Sehen ab und deutet ihn schließlich in einem finalen Akt der Aneignung um.

Jakobus Durstewitz - Künstler im Atelier

Jakobus Durstewitz, Foto: Jan Casagrande

 

Bei all dem lassen sich die meisten der zwölf ganz traditionell in Öl auf Holz verbrachten Motive nur vordergründig als nurmehr freundlich-industrieromantische Ansichten „lesen“, wenn einen hier die „reduzierte Palette“ – der Minimalismus in Form und Farbe – auch leicht in die Irre führt. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich kleine „Risse im Beton“; kaum merkliche Spannungen und Widersprüche treten zutage: Wie erklärt sich der oft auf seltsame Art fast banale Fokus (der Poller, die Dalbe)? Warum wirken die Motive wie in der Zeit eingefroren? Und überhaupt: Wo sind die Menschen? Offenbar haben wir es hier zumindest teilweise mit bedrohten, wenn nicht gar bereits verlassenen Orten zu tun. Das Oktober-Motiv „Unter Kränen“ (Beinahe liest man: „Unter Krähen“) hat in der Farbgebung geradezu etwas Dystopisch-Apokalyptisches an sich, während einen das August-Motiv erahnen lässt, wie schnell sich die Natur verlassene Industrieflächen zurückerobert. Insofern erweist sich der erste Eindruck einer ganz auf die Hafenindustrie konzentrierten Motivwahl als oberflächlich. Zwar rauchen noch ein paar Schornsteine, aber die Natur ist nicht abwesend. Sie wartet.

Dr. Ebba Durstewitz

Hamburg (2018)

Untätige Kräne (2018)

Gezeiten I (2018)

MS Stubnitz (2018)